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Plantijn-Moretus-Museum, Antwerpen

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Nach zwei Konferenztagen und einer eher merkwürdigen Abschlussparty in den Docklands von Antwerpen hat uns Jan-Willem am letzten Tag in das Plantijn-Moretus-Museum geführt. Das ist das Museum für Bleitypographie und Buchkunst der niederen Lande, und obwohl mir hier der Vergleich aus persönlicher Anschauung vollständig abgeht, wage ich zu behaupten, dass es auch weltweit einzigartig sein dürfte.

Die beiden Familiennamen im Titel stehen für Christophe Plantin und Jan Moretus. Christophe Plantin, ursprünglich Franzose, wurde in der Gegend von Tours um 1520 geboren und siedelte etwa 1549 nach Antwerpen um. Später niederlandierte er selbst seinen Namen in Christoffel Plantijn, im Englischen liest man Christopher Plantin.

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Plantijn gründete in Antwerpen die »Verlagsdruckerei« Zum goldenen Zirkel (»Gulden Passer«). Zu dieser Zeit waren Druck, Verlagswesen und Buchhandel noch nicht klar getrennt. 1576 siedelte das auch als Officina Plantiniana bekannte Unternehmen in einen Häuserblock am Vrijdagmarkt um, wo heute der Eingang zum Museum ist. Allerdings entspricht der heutige Gebäudekomplex nicht dem anfänglichen Zustand. Große geschäftliche Erfolge erlaubten, nach und nach Nachbargrundstücke zu erwerben und den Betrieb über Generationen auszubauen. Der Kern ist allerdings seit über vierhundert Jahren eine Renaissance-Druckerei und es ist höchst erstaunlich und großartig, wie sehr das Gebäude, die technischen Einrichtungen und die Sammlung an Manuskripten und Druckwerken diese gesamte Zeitspanne nachvollziehbar machen.

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Plantijns einziger Sohn starb noch im Kindesalter und so ging der Betrieb nach seinem Ableben 1589 in die Hände des Gemahlen seiner zweiten Tochter über, der Jan Moerentorf hieß und seinen Namen in Moretus latinisierte. Die Moretus-Familie blieb über Jahrhunderte der Devise treu, dass jeweils das Kind mit der besten Eignung das Haus übernehmen sollte. Der letzte in der Reihe, Edward Moretus, verkaufte das gesamte Anwesen mit dem größten Teil des Druck- und Buchinventars nach dreijährigen Verhandlungen 1876 an die Stadt Antwerpen, die zum Erwerb ein Darlehen des belgischen Staates benötigte. Die dreihundertjährige Geschichte des Verlags endete, die 130-jährige Geschichte des Museums begann.

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Der Gründer des Goldenen Zirkels, Christoffel Plantijn, war Humanist und reformatorischen Strömungen gegenüber äußerst empfänglich. Allerdings musste er Zeit seines Lebens zwischen seinen inneren Überzeugungen und seinem menschlichen wie geschäftlichen Überleben abwägen und lavieren. Die niederen Lande standen unter spanisch-habsburgischer (katholischer) Herrschaft, seine ersten Geschäftserfolge verdankte er jedoch Calvinisten und protestantischen Sekten. In seine Lebenszeit fällt die Spaltung der niederen Lande in zwei Hälften (1579). Obwohl calvinistische Hochburg, stand Antwerpen schließlich (1585) unter spanischer/katholischer Hoheit.

Die Gunst des Königs erwarb sich Plantijn durch Erarbeitung, Druck und Herausgabe einer achtbändigen polyglotten Bibel in Latein, Griechisch, Hebräisch, Syrisch und Aramäisch (1568–1573). Dafür wurde er von Philipp II zum architypographus der niederen Lande ernannt und bekam Folgeaufträge: ab 1571 hatte Plantijn ein exklusives königliches Privileg für den Druck von liturgischen Texten für Spanien. Welche Einflüsse sich aus dieser Tatsache für die Entwicklung der Typographie in der spanischsprachigen Welt ergaben, wäre eine interessante Forschungsaufgabe. Die neue Geschäftsgrundlage sorgte für einen raschen Aufschwung, die Zahl der Druckerpressen verdreifachte sich auf sechzehn.

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Plantijn baute die größte und bestausgerüstete Druckerei seiner Zeit auf und belieferte den niederländischen, französischen, deutschen, spanischen, italienischen und englischen Markt. In seiner Lebenszeit erschienen 1.887 Mehrblattdrucke, durchschnittlich 55 per Jahr. Etwa 33% davon sind religiöse Werke, 20% humanistische Texte, weitere 5,5% Lehrtexte der Geisteswissenschaften und 7% Grammatiken und Wörterbücher, darunter die ersten der niederländischen Sprache überhaupt. Jursiprudenz, Technik und Wissenschaften haben einen Anteil von 15%. Plantijn war der humanistische Drucker der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, seine Leserschaft die Bildungselite Europas. Gegen Ende seines Lebens ging es allerdings steil bergab. In Folge der Kriege ging Antwerpens Goldenes Zeitalter rasch und heftig zu Ende.

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Plantijns erster Nachfolger, Jan Moretus, trat ein großes, aber schweres Erbe an. Der Verlag durchlief die größte Krise seiner Geschichte. Allerdings blieb der Goldene Zirkel die offizielle Druckerei der Stadt, hielt weiter ein Privileg zum Druck liturgischer Texte in den niederen Landen und gewann neue Kunden unter den religiösen Orden, allen voran die Jesuiten. Auch die Beziehungen nach Spanien wurden wieder ausgebaut: in einem Geschäft von 1606 wurde vereinbart, dass der »rezo romano« für Spanien und das spanische Weltreich wieder in Antwerpen gedruckt werden würde. Die ersten Drucke des rezo erlebte Jan Moretus nicht mehr, doch sollten die Folgegenerationen von diesem Handel enorm profitieren. So wurde aus der Druckerei des Humanismus die Druckerei der Gegenreformation, wobei das eine das andere nie ganz ausschloss. Der humanistische Philosoph Justus Lipsius war Freund des Hauses und jährlich wurde mindestens eines seiner Bücher bei Moretus neu aufgelegt oder nachgedruckt. Ebenso in die Zeit von Jan Moretus fällt der Beginn der Zusammenarbeit des Goldenen Zirkel mit Peter Paul Rubens und insgesamt ein besonderes Augenmerk auf hervorragende Druckwerke in Material, Schrift, Illustration und Ausstattung.

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Der Westfälische Friede von 1648 brachte die internationale Anerkennung der Niederländischen Republik und für Antwerpen die größte denkbare Katastrophe. Die Schelde wurde offiziell geschlossen und der Stadt damit der Zugang zum Meer abgeschnitten. Geld und Kunst verließen die Stadt und die Druckerei zum Goldenen Zirkel wurde immer ausschließlicher vom Druck des »rezo romano« abhängig, der allerdings äußerst einträglich war. Der Rest der Geschichte, kurz gefasst: Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wird die Familie in den Adelsstand erhoben, im 18. Jahrhundert läuft typographisch und publizistisch nix Dolles mehr, aber durch Spekulation werden die Moretus stinkreich. 1764 jedoch entzieht der spanische König die Lizenzen aller ausländischen Drucker in Spanien und das Geschäft kollabiert. Bis um 1800 herum dümpelt der Betrieb noch so vor sich hin, dann wird immer mal dicht und dann doch wieder aufgemacht. Und wenn, dann eher aus Traditionsgefühl, denn mit festen Geschäftsabsichten: die Familie hat es nicht mehr nötig. Zum Glück muss man sagen, denn sonst hätten sie vielleicht »modernisiert«, alles rausgerissen und sich einen Park Linotypen reingestellt.

Heute schreitet man durch Räume mit Renaissance-Ledertapten und Gobelins, Portraits der Familienmitglieder in Öl von Rubens, besieht in Vitrinen die zusammengesammelte Buchkunst von hochmittelalterlichen Manuskripten, Wiegendrucken, von eigenen und ausgewählten fremden Produktionen. Die Funktionsräume entsprechen teilweise noch dem Zustand der Renaissance, die meisten allerdings einem späteren Zeitpunkt. Persönlich haben mich am meisten die Druckerei, das Plantijnsche »Büro« und der Raum der Korrektoren beeindruckt, die in enormem Tempo die Bogen prüfen mussten, in Latein, Griechisch et cetera.

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Die ausgestellte Sammlung an Druckwerken ist umwerfend. Vom Plakat, das ein zur Vermietung stehendes Haus kennzeichnet, über Landkarten und Illustrationen bis zu den unterschiedlichsten Büchern in den verschiedensten Sprachen und Schriften. Wer mehr über die Abläufe einer Buchproduktion vor 400 Jahren erfahren möchte hat hier die beste Gelegenheit. Nebeneinander liegen die Skizze eines Titelblattes von Rubens, die Kupferplatte des Stechers, die Typografischen Satzblöcke, die eingedruckt wurden und das aufgeschlagene Buch. Deutlicher gehts nicht.

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Was mich bei Plantijn-Moretus zudem völlig umhaut ist die Vielfalt in den Schriften. Da sie für verschiedensprachige Märkte arbeiteten verfügten sie auch über einen reichen Bestand an Typen. Zum einen die »Exoten« der Renaissance, Griechisch, Hebräisch, Syrisch etc. für die kritischen Bibelausgaben, zum anderen gebrochene Formen für Niederländisch [Nederduits], Deutsch [Hoogduits], und auch Französisch (Bastarda, Civilité). Das Beispiel hier fand ich besonders anregend: Lateinische Versalien, Textur und Bastarda, alles auf einem Titel und mit inhaltlicher Funktion und sprachlicher Zuweisung. Awesome !

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Der Raum der Schriftgießerei von 1622 ist als solcher weniger beeindruckend. Es ist eben weder die Zeche Zollverein noch Thyssen-Krupp, für Lettern müssen keine Tonnen Material pro Stunde umgesetzt werden. Zwei kleine Öfen tun es, um stetig den Bestand zu erhalten, der beim Drucken verschleißt. Merkwürdig ist allerdings, dass der Raum im Obergeschoss liegt und nicht zu ebener Erde, wie man denken würde. Eine Erklärung dafür konnte ich nicht finden.

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Und dann die Stempel und Matrizen ! Zu Zeiten olle Plantijns waren Stempelschneider und Schriftgießer bereits als Berufsbild aus dem Druck- und Verlagswesen herausgelöst, Plantijn jedoch wollte nicht kaufen, was er kriegen konnte, sondern setzte auf sorgsame Auswahl und Auftragsproduktion. Im Bestand des Museums sind heute etwa 4.500 Stempel und fast 16.000 Matrizen. Sie bilden etwa 90 Serien verschiedener Schriften in unterschiedlichen Graden. Damit ist die Stempelsammlung auf Platz fünf der größten Sammlungen der Westlichen Welt. Nur die Imprimerie nationale in Paris, die Druckerei Enschedé in Haarlem, die University Press in Oxford und der Vatikan haben mehr. Herausragend macht die Sammlung vor allem ihre Qualität: Claude Garamond, Guillaume Le Bé, Robert Granjon, Pierre Haultin und Hendrik van den Keere machen das Plantijn-Moretus-Museum zum Brennglas des 16. Jahrhunderts. Von den heute vorhandenen 22.000 kg gegossenen Lettern stammt noch etwa die Hälfte aus der Zeit von Christoffel Plantijn und Jan Moretus, die andere Hälfte wurde im Laufe der Zeit nachgegossen.

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Und das beste ist: genau zum Thema Stempel fahren wir irgendwann noch mal nach Antwerpen. Watch out for follow-ups !*

Source / Quelle / Bron:
Francine de Nave & Leon Voet: Plantin-Moretus Museum Antwerp (englische Ausgabe), Ludion Ghent-Amsterdam, Reprint 2004, ISBN 90-5544-520-7. Auch in Französisch und Niederländisch erhältlich.

Wer noch mehr und im Netz lesen möchte: The Golden Compasses — The History of the House of Plantin-Moretus von Leon Voet.

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* Edit 11/2014: Leider kam es danach weder zu einem zweiten Besuch des Museums, noch zu einer Führung im Stempelkabinett, noch zu einem Follow-up dieses Artikels.

Dieser Beitrag erschien zuerst im November 2009 auf Buiten&Binnen.

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