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Schinkels Schrift

1827 entwarf Karl Friedrich Schinkel die Inschrift, die bis heute die Schauseite des Alten Museums schmückt. Ihr Text wurde von Aloys Hirt redigiert, der eine treibende Kraft bei der Gründung sowohl des Museums wie der Bauakdemie war: »FRIDERICVS  GVILELMVS III STVDIO  ANTIQVITATIS  OMNIGENAE  ET  ARTIVM  LIBERALIVM  MVSEVM  CONSTITVIT  MDCCCXXVIII«, Friedrich Wilhelm der Dritte stiftete dieses Museum 1828 dem Studium aller Arten Altertümer und der freien Künste.

Über den Text der Inschrift gab es sofort einen Streit unter deutschen Gelehrten.1 Die Diskussion drehte sich um Fragen der korrekten Wortstellung, der Grammatik und der Wortwahl. Ein wesentliches Problem lag dabei im Ideal der ›wahren Latinität‹, denn die Einrichtung war ihrer Konzeption nach eine hochmoderne Schöpfung, für die es keine Beispiele in der Antike gab. Etwa eineinhalb Jahre und vierundzwanzig Gegenvorschläge später beendete der zuständige Minister Karl vom Stein zum Altenstein die Debatte mit Verweis auf die Kosten, die ein Austausch der Inschrift verursacht hätte.2

Abb. 02: Lustgartenfassade 1916, mit Freskenmalereien und der großen Granitschale von Christian Gottlieb Cantian. Bild: Zentralarchiv SMB-PK, 1.1.2.-4653.

Die Inschrift war nicht von Anfang an vorgesehen. Die älteste bekannte Skizze trug Schinkel 1827 mit Bleistift in einen Kupferstich der Lustgartenfront von 1823 ein, der heute im Kupferstichkabinett aufbewahrt wird.3 Vermutlich als verloren, in jedem Fall als verschollen müssen die 18 Zeichnungen im Maßstab 1:1 gelten, die Schinkel von den einzelnen Buchstaben anfertigte.4 Sie dienten dem Bildhauer Philipp Friedrich Gaede als Vorlage, der sie dreidimensional in Lindenholz ausarbeitete. Die ca. 70 cm hohen Holzlettern gingen schließlich an die Königlich Preußische Eisengießerei in Berlin, wo man sie zur Herstellung der Gussformen nutzte. Im August 1827 wurde die fast zwei Tonnen schwere Inschrift montiert und vergoldet.

Die Inschrift orientiert sich insofern an altrömischen Vorbildern als sie lediglich aus Großbuchstaben besteht und die Form V für den Vokal U verwendet. Doch ebenso wie Schinkels Bau keine Replik eines originär antiken Gebäudes ist, sondern die zeitgenössische Interpretation eines Stilideals an einem völlig neuen Bautypus, so ist auch seine Schrift eine moderne Interpretation — und dabei eine sehr individuelle, eigentümliche.

Die Formen von Schinkels Buchstaben entsprechen weder dem römischen Vorbild noch dem klassizistischen Antiqua-Modell seiner Zeit, den Schriften von Didot, Bodoni oder Walbaum. Auch erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass er sich Rat bei Kalligrafen, Typografen oder Stempelschneidern geholt hat, denn dann wären ihm bestimmte handwerkliche Fehler bei der Zeichnung von Schrift nicht unterlaufen, die die Konstruktion der Zeichen, ihre Proportionen und Strichenden betreffen. In diesem Punkt handelt es sich um eine typische Architektenschrift. Man darf jedoch nicht die zentrale Qualität des Entwurfs übersehen: das Innere der Buchstaben ist vertieft, die äußeren Kanten treten erhöht hervor und verursachen einen ›Outline-Effekt‹. In einer Zeit, in der markante Schauschriften für die aufkommende Werbung erst ganz allmählich ihren Weg von England nach Deutschland fanden, ist Schinkels Schrift ein früher Fall einer deutschen »Displayschrift«, zumal im Einsatz an einem zugleich öffentlichen wie königlichen Gebäude.

Abb. 03: Altes Museum 1945 mit ausgebranntem Panzer. Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Wünsdorf, ohne Signatur.

118 Jahre und fast den gesamten Zweiten Weltkrieg überstand die Inschrift unbeschadet. Erst im Häuserkampf um das Stadtzentrum von Berlin, am 30. April 1945 und damit am Tag des Selbstmords von Adolf Hitler, explodierte ein Panzer vor der Lustgartenfassade,5 woraufhin das gesamte Gebäude Feuer fing und ausbrannte. Dabei wurden auch acht der Schinkelschen Lettern zerstört.6

Bereits in den ersten Nachkriegsjahren wurde der Wille zum Wiederaufbau des Alten Museums formuliert, jedoch war an konkrete Schritte zunächst kaum zu denken. Erst 1951 wurde mit bescheidenen Sicherungsmaßnahmen begonnen. Ab 1957 intensivierten sich die Bemühungen um den Wiederaufbau des Alten Museums, das inzwischen in einen Fünfjahresplan aufgenommen war. Die Rohbauarbeiten wurden im Jahr 1963 durchgeführt, in den beiden folgenden Jahren die Ausbauarbeiten. 1965 stellte die Regierung der DDR erhebliche Mittel bereit, um den Abschluss der Arbeiten zu beschleunigen.7

Abb. 04: Retuschierte Ansicht der Lustgartenfassade von 1969 mit ausgeschwärzter Inschrift (Ausschnitt). Bild: Zentralarchiv SMB-PK, 1.1.2.-4735.

1966, im Jahr der Wiedereröffnung, erregte die frisch restaurierte und ergänzte Inschrift die Aufmerksamkeit von Paul Verner, Mitglied des Politbüros des ZK der SED, Abgeordneter der Volkskammer und Stadtverordneter von Berlin, der sich an der Nennung König Friedrich Wilhelms des Dritten störte und die Ersetzung der Inschrift forderte.8 Die Leitung der Museen war gegen dieses Ansinnen. Am Institut für Denkmalpflege zeigte man sich überrascht, fachlich herausgefordert und durchaus genervt.9 Die Angelegenheit landete beim zuständigen Ministerium für Kultur, das nach etwas Hin und Her zwischen den beteiligten Stellen die Ersetzung der Inschrift durch folgende neue anordnete: »ALTES  MVSEVM  ERBAVT  MDCCCXXVIII  ZERSTOERT  IM  II. WELTKRIEG  WIEDERHERGESTELLT  ZVR  FOERDERVNG  DER  KVNST  MCMLXVI«.

Mit dem Entwurf der neuen Schriftzeichen wurden 1967 der Köpenicker Grafiker Werner Schulz, ab 1983 angestellter Direktor der Ausstellungsgruppe der Museen, und sein Assistent Hans Pietsch betraut.10 In der Gestaltung wollten sie dem Original möglichst nahe kommen, wozu sie einen der Buchstaben genau studierten, die in den letzten Kriegstagen beschädigt worden waren.11 Herr Pietsch erinnerte sich an einen Flachs, der damals bei den Mitarbeitern die Runde machte ; demnach störte sich Erich Honecker im Staatsratsgebäude gegenüber am goldenen Schimmer des Fridericus Rex, der ihm im Auge blinzelte.

Abb. 05: Ein R aus der Produktion von 1969, Aufnahme Frerk Lintz 2011.

Dem VEB Schwermaschinenbau Lauchhammerwerk wurden schließlich Zeichnungen im Originalmaßstab geschickt.12 Aus diesen leitete die Abteilung Kunstguss 1969 unter der Leitung des Obermeisters Kümmel dreidimensionale Holzlettern ab,11,12 die sie dem Auftraggeber zur Abnahme vorlegten und anschließend wohl auch zur Herstellung der Eisengussformen13 verwendeten. Für den 2020 im Knoblauchhaus ausgestellten plastischen Buchstaben S gibt es also nicht einen Urheber, sondern mindestens vier: Schinkel, Gaede, Schulz und Lauchhammer.

Die neue Inschrift sollte zum 20. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1969 angebracht sein,14 doch kam es letztlich nie dazu. Direktion und Mitarbeiter der Museen verschleppten die Umsetzung des Plans so lange, bis die Sache in Vergessenheit geriet.8 Doch auch Personalien änderten sich. Im Jahr 1978 wandten sich die Museen an Hans-Joachim Hoffmann, Minister für Kultur der DDR von 1973 bis 1989. Im Rahmen einer neuerlichen Renovierung der Fassade bat man um Zustimmung, die alte Inschrift ebenfalls restaurieren zu dürfen und wie gehabt wieder zu montieren. Dafür gab es grünes Licht.15

Postskriptum
Diesen Text verfasste ich im Februar 2020 für das Knoblauchhaus in Berlin. Dort sollte am 27. März eine Erweiterung der Dauerausstellung eröffnet werden, in deren Rahmen ein S aus der Produktion von 1969 gezeigt werden sollte. Leider ist die Eröffnung dieser Ausstellung auf unbestimmte Zeit verschoben.

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Fußnoten:
1) Ein prominenter Kritiker war Alexander von Humboldt, aber er war keineswegs der einzige. Dokumentiert in : Alfred von Wolzogen, Aus Schinkel’s Nachlaß, Band III, Berlin 1863, S. 271 ff. — 2) Wolzogen, op. cit., S. 219. — 3) Kupferstichkabinett SMB-PK, Signatur SM 21c.156. — 4) Paul Ortwin Rave hatte diese Zeichnungen noch im Baubüro der Museen gesehen. Rave, Berlin. Erster Teil, Bauten für die Kunst, Kirchen, Denkmalpflege (= Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk, Bd. 2), Berlin 1941, erweiterte Neuausgabe Berlin : Deutscher Kunstverlag, 1981, S. 55. Weder das Zentralarchiv der Museen, noch deren Bauabteilung, noch das Kupferstichkabinett wissen etwas über den Verbleib dieser Zeichnungen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie beim Brand des Museums 1945 in Rauch aufgingen. — 5) Friedemann Seiler, »Zerstörung und Wiederaufbau des Alten Museums«, in: Das Alte Museum 1823–1966, Festschrift zur Wiedereröffnung. Berlin : Staatliche Museen, 1966, S. 32–41, hier S. 33. Exemplar ZA SMB-PK. Bei Seiler steht gedruckt der 8. 5. 1945 sowie »Munitionswagen«. Handschriftlich mit Bleistift finden sich dort Korrekturen eingetragen, die auf den 30. 4. 1945 datieren und den Munitionswagen durch »Tank« ersetzen. Fotografien von 1945/46 zeigen die Hülle eines Panzers vor dem Museum, weswegen ich den Korrekturen unbekannter Hand folge. Schade, s. Anm. 8, datiert ebenfalls auf den 30. 4. 1945. — 6) Restaurierungsgutachten von Georg Ignaszewski für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, September 2001. — 7) Seiler, op. cit., S. 32–41. — 8) Günter Schade : »Bemerkungen zu Geschichte und Problemen beim Wiederaufbau des Neuen Museums«, in : Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. 27, Berlin : Gebr. Mann Verlag, 1990, S. 163–197, hier S. 168–169. — 9) »Herr Deiters [Generalkonservator des Instituts für Denkmalpflege] sieht keine ideologischen Bedenken. In allen sozialistischen Ländern werden historische Inschriften erhalten. Er hofft, dass es in diesem Falle keine ›Adler-Diskussion‹ gibt.« Aktennotiz zu einem Telefonat vom 9. Mai 1966, Landesdenkmalamt Berlin, Z 21/28 E. — 10) Brief der Museen an das Institut für Denkmalpflege vom 22. Februar 1967, Zentralarchiv SMB-PK, VA 5934. — 11) Gespräch des Verfassers mit Hans Pietsch vom 17. November 2011. — 12) Wirtschaftsvertrag zwischen den Museen und dem VEB, gezeichnet 17. und 23. Juni 1969, Zentralarchiv SMB-PK, VA 3620. — 13) Dass die Holzlettern auch zur eigentlichen Produktion verwendet wurden, liegt nahe. Jedoch kann es kaum belegt werden. Beim Kunstgussmuseum Lauchhammer gibt es keine Überlieferung zu den Vorgängen rund um die Inschrift. Mailwechsel mit Dr. Susanne Kähler, Museumsleiterin, im September 2011. — 14) Zentralarchiv SMB-PK, VA 3620. — 15) Landesdenkmalamt Berlin, »Altes Museum, Objektdaten 1970–1980«, ohne Signatur. Übernommene Akten des Instituts für Denkmalpflege, AS Berlin, unerschlossen.

Bildnachweise:
1) Detail der Inschrift am Alten Museum, Aufnahme © Frerk Lintz 2011. — 2) Zustand 1916, Lustgartenfassade mit Freskenmalereien und der großen Granitschale von Christian Gottlieb Cantian, © Zentralarchiv SMB-PK, Berlin, ZA 1.1.2.-4735 — 3)  Altes Museum 1945 mit ausgebranntem Panzer, © Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Wünsdorf, ohne Signatur — 4)  Retuschierte Ansicht der Lustgartenfassade von 1969 mit ausgeschwärzter Inschrift, © Zentralarchiv SMB-PK, Berlin, ZA 1.1.2.-4653 — 5) R aus der Produktion von 1969, Aufnahme © Frerk Lintz 2011.

8 Kommentare

  1. Albert-Jan Pool sagt

    Lieber Fritz,

    wie schön ist es zu erfahren, dass die Inschrift am Alten Museum nicht nur die Restaurierung von 1966 und 1978(?), sondern auch die aus kunsthistorischer – genauer gesagt schriftgeschichtlicher – Sicht unerträgliche Rechthaberei des genannten Mitglied des Politbüros. Klasse, dass du solche Dinge recherchierst!

    weiterhin viel Erfolg!

    Albert

  2. Hallo, Fritz!
    Wieder etwas gelernt, auf das ich, Dank der ausführlichen Quellenangaben, auch vertrauen darf. Hoffentlich findet der Vortrag bald statt. Ich drücke die Daumen.
    Ach ja, es würde mir gut gefallen, hier öfter etwas Neues lesen zu dürfen. 😉

  3. James Reeve sagt

    Greetings from the UK. Please forgive me for writing in English; my German is very rusty nowadays.

    I must point out that this: Fotografien von 1945/46 zeigen die Hülle eines Panzers vor dem Museum, weswegen ich den Korrekturen unbekannter Hand folge. is wrong. The tank in the photograph is a British Mark V from World War I, and there were two of them in the Lustgarten in 1945.

    After WWI, Britain sent 60 tanks to Russia, to aid the Czarist army against the Bolsheviks in the Russian Civil War. Most were captured by the Red Army, and they were used during the 1920s and perhaps the 1930s. Eventually, they were decommissioned, and the government sent several of them to Soviet cities, to be put on display as memorials.

    Two Mark Vs were sent to Smolensk, and were placed in front of the cathedral. They stood there until 1941, when the Germans occupied the city. There are many photographs of German troops posing with these tanks.

    Then it was decided (possibly by Hitler himself) to send them to Berlin, where the Zeughaus was staging an exhibition of weapons and other trophies captured in Russia. They were placed in the Lustgarten, facing the cathedral, along with numerous artillery pieces. They remained there until the end of the war. (They were also photographed with Soviet troops!)

    There is no evidence that they were in working order or took any part in any fighting during the Battle of Berlin. They were eventually taken away and scrapped. There was some brief fighting on the Museumsinsel, but I know of no reference to munitions wagons exploding or of buildings being burnt out in May, 1945. The cathedral was burnt out by incendiary bombs during an air raid in 1943.

    I would be happy to send photographic evidence of the above.

    MfG,

    James Reeve

    Oxfordshire, England.

  4. James Reeve sagt

    The „panzer“ outside the Altes Museum is a British Mark V tank from 1918. Two of these tanks were amongst those that fought in the First World War, in France. After the First War about 60 tanks were sent from Britain to Russia to support the Tsarist forces, but they were captured by the Red Army. During the 1930s, fourteen of these tanks were sent to Soviet Russian cities and put on display as war memorials. Two were put on display in front of the cathedral in Smolensk until 1941. Then in World War Two the Germans occupied Smolensk, carried off the two tanks, and took them to Berlin, where they were again put on display, in the Lustgarten. Since Hitler visited Smolensk a few weeks before, it is possible that the tanks were moved on his orders. They remained there until the end of the Second War.

    There was some fighting on the Museumsinsel in May 1945, but the tanks were not „burnt out.“ I know of no explosions in front of the Lustgartenfassade. The Dom itself was burnt out during an air-raid in 1943.

    • fgroegeladm sagt

      This is very interesting! Thank you very much, James, for your contribution. As a matter of fact, the Museum burnt out in those last days of the war — but apparently the reason for it remains to be identified …

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