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Corona-Lehre (2): Aus Sicht des Lehrenden

1. Was schlechter war

Es fehlen die Besprechungsrunden »im Rudel«. Das hat mehrere Konsequenzen: Entwürfe können nicht am analogen Ausdruck beurteilt werden, was in Typo sehr schlecht ist ; es ist nahezu unmöglich, die Studierenden in längeren Diskussionen dahin zu bringen, selbst zu Erkenntnissen zu kommen und diese zu formulieren, stattdessen muss der Lehrende viel öfter lenken, in welche Richtung gedacht werden sollte (für mich äußerst unbefriedigend) ; schüchterne oder weniger fleißige Studierende können sich nicht im Hintergrund halten und dabei dennoch »passiv mitlernen« ; die Gruppe als solche verliert ihren sozialen Zusammenhalt (Lernen als gemeinsames Erlebnis) ; der/die Einzelne sieht schlechter, was bei den anderen gestalterisch passiert und kann sich schlechter im Bezug zu den Peers in seinen/ihren Leistungen einordnen ; als Lehrender muss ich genau aufpassen, dass ich wichtige Dinge auch in allen Konsultationsgruppen sage. Ich musste mich überhaupt viel öfter wiederholen als in einem analogen Semester.

Ich musste Feedbacks klar verbalisieren. Ich selbst bekam viel weniger Feedback als gewöhnlich und habe angefagen, Feedback aktiv einzufordern. Das Nonverbale fällt weg, ein zustimmendes Lächeln, ein gemeinsames, verbindendes Lachen, und auch das informelle Gespräch beim Mittagessen oder bei einer Zigarette vor dem Haus. Man kriegt nicht mehr mit, was die Studierenden jenseits des Kurses bewegt oder interessiert.

Bei den Konsultationsrunden entstand mehr Druck auf die einzelnen Studierenden, da sie regelmäßig jede Woche etwas zeigen mussten. So engmaschig würde ich sie in einem analogen Semester nie »überwachen«. Ich habe irgendwann im späteren Verlauf gesagt, dass sie auch bei den Konsultationen von anderen als Zuschauer willkommen sind. In Zukunft würde ich das von Anfang an sagen.

2. Was besser war

Um direkt am Punkt zuvor anzuknüpfen: jede*r Studierende bekommt gleichmäßige Aufmerksamkeit des Lehrenden, nicht nur jene, die stets vorneweg ihre Entwürfe zeigen und Feedback aktiv einfordern. Durch die Kleingruppen arbeiteten die meisten vom ersten Tag an kontinuierlich und nicht erst am Kursende. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen. Durch das Teilen des Bildschirms fanden die meisten Besprechungen anhand der InDesign-Dateien statt, die ich sonst gewöhnlich kaum sehe. Dadurch konnte ich besser darauf eingehen, wie man Dinge sinnvoller Weise »baut«.

3. Studentische Wünsche: Verlässlichkeit & Reduktion bei den Tools

Mein Eindruck war, dass Studierende es schätzen, wenn für verschiedene Funktionen klare »Kanäle« genutzt werden, also bspw. dieses immer auf Slack und jenes immer auf Moodle. An zusätzlichen digtalen Tools für das gemeinschaftliche Arbeiten waren sie eher nicht interessiert, sie wünschten sich vielmehr eine möglichst kleine Auswahl, die alle Lehrenden ähnlich nutzen. Klar bevorzugt wird die rasche Einordnung in eine feste Konsultationsgruppe.

4. Was nicht funktioniert hat: »Slack-Montag« bzw. »Slack-Dienstag«

Ende April hatte ich den Eindruck, dass meine PDFs kaum angeschaut werden und stellte fest, dass sich erst wenige auf Slack beteiligten. Daraufhin schlug ich vor, einen Mini-Zwischentermin einzubauen. Zu diesem Termin sollte ich die neuen Unterlagen hochgeladen haben. Die Studierenden sollten lediglich abends um 6 Uhr dort vorbeisehen, sich die neuen Infos ziehen und sich per Simple Poll in eine Konsultationsgruppe für den kommenden Termin eintragen oder an inhaltlichen Abstimmungen beteiligen.

Mit diesem Konzept bin ich gescheitert. Auch ich habe meine eigene Verpflichtung irgendwann nicht einhalten können und kam mit meinen Uploads zu spät. Auf Seite der Studierenden klärte sich im Verlauf des Semesters, dass sie ihre Kurse überwiegend erst am Vorabend vorbereiten. In ihren Augen ist die Kurszeit vom Vorabend bis zum Abend des Kurstags. Kommunikation und Interaktion außerhalb dieses Zeitfensters waren eher unerwünscht, das änderte sich erst am Ende des Semesters.

5. Konflikte

Konflikte gab es wenige, aber ich fand sie schwieriger zu regulieren als bei gemeinsamer körperlicher Präsenz in einem Raum. Es ist sowohl blöd, Konflikte in Mails zu verbalisieren als auch, Konflikte in Konferenzen auszutragen. Beides ist mir dennoch passiert. Im echten Leben würde ich früher eingreifen und versuchen, positiv zu aktivieren. Oder eine Gelegenheit suchen, am Rande mal ein Gespräch zu zweit zu führen. Es fehlt die Beiläufigkeit.

6. Kursöffentlichkeit & Slack

Slack war als Werkzeug der »horizontalen« Kommunikation in Bielefeld gesetzt. In Berlin hatte ich es zu Beginn des Kurses vorgeschlagen, was in einer Abstimmung breit angenommen wurde. Was ich selbst an Slack schätzte war, dass man verschiedene Kanäle einrichten kann, die eine gewisse Vorsortierung von Diskussionsthemen erlaubt. Die wichtigen Kanäle waren:
• allgemein
• Ressourcen Recherche
• Inhalte Fachtheorie (Übersicht, auf der ich abhakte, was besprochen war)
• Rückfragen an Dozent
• Termine & Konsultationsgruppen
• virtueller Rundgang (Pinnwand)

Für mich wandelte sich die Funktion von Slack etwa auf der Hälfte des Kurses. Ich wollte dort eine Pinnwand schaffen, auf der die Studierenden ihre aktuellen Sachen posten. Leider nutzte ich das zum ersten Mal, als eine wirkliche Zwischenpräsentation anstand und benannte den Kanal deshalb »virtueller Rundgang«. »Pinnwand« wäre im Rückblick besser gewesen, weil niederschwelliger.

Im besten Fall nutzten die Studierenden Slack, um dort Entwürfe zu posten und Feedback von ihren Mitstudierenden einzuholen. Ich schritt nur dann ein, wenn ich es unbedingt nötig fand oder direkt angesprochen wurde. Ansonsten hielt ich mich zurück.

In einem analogen Semester wird in der Endphase weniger Präsenz von mir erwartet und weniger Kursöffentlichkeit. Online war es ganz anders: da der Austausch zwischen den Studierenden über das Semester stark eingeschränkt war, blieb ein hoher Bedarf bis zuletzt bestehen.

7. BigBlueButton versus Zoom

Da ich an der FH Bielefeld Zoom verwendete und an der HTW Berlin BigBlueButton bin ich in der Lage, die beiden Videosysteme zu vergleichen. BBB hat einige gute Funktionen, insbesondere das Abstimmungswerkzeug verwendete ich häufig. Ein weiterer Vorteil war, dass es vom Support-Team der HTW in Moodle integriert wurde. Die Studierenden starteten ihre Gruppensitzung aus Moodle heraus und sahen dort bereits, welche neuen Unterlagen ich für sie eingestellt hatte.

Leider ließ BBB mitunter die Leistung vermissen. Oft war der Ton problematisch und das Videobild teilten wir alle (mich eingeschlossen) etwa ab der Hälfte des Kurses kaum noch, da es sonst nicht mehr funktionierte, gleichzeitig den Bildschirm zu teilen und am Dokument zu arbeiten. In diesem Punkt war Zoom überlegen, hier konnte man permanent sowohl das eigene Videobild als auch den eigenen Bildschirm störungsfrei teilen.

8. WhatsApp-Gruppe

Sowohl die Bielefelder als auch die Berliner waren aus eigenem Antrieb zusätzlich in einer WhatsApp-Gruppe organsiert. Ich sprach gleich zu Beginn an, dass ich dort keinesfalls Mitglied werden wollte. Ich sehe das als einen Pausenhof, auf dem man anders reden kann, als wäre »der Lehrer« dabei. Allerdings wäre es mir lieber, sie würden Anwendungen mit höherer Datensicherheit dafür nutzen.

Was mich besonders beschäftigt hat

• wie stelle ich Präsenz her?
• wie stelle ich Verbindlichkeit her?
• wie halte ich den Laden präzise am Laufen?
• wie gehe ich online mit Konflikten um?
• wie unterstütze ich Studierende, die nicht klarkommen?

Mehraufwand als Lehrbeauftragter

Die Durchführung des Lehrauftrags im reinen Online-Format verursachte mir im Vergleich zu einem »normalen« analogen Semester einen Mehraufwand von etwa 30 Prozent. Dies bezieht sich auf einmalige Leistungen wie die Ausarbeitung des digitalen Lehrkonzepts und die Einarbeitung in die digitalen Tools, aber auch auf deren langfristig notwendige Pflege. Die Kommunikation zwischen den Terminen nimmt noch mehr Zeit in Anspruch als zuvor per Email. Eigentlich einfache organisatorische Sachen wie das Eintragen in eine Terminliste im Kurs müssen digital organisiert werden, die Online-Apparate mit den Kursunterlagen gepflegt werden. Die Lehrkraft muss Entwurfs-PDFs einsammeln und für die gemeinsame Betrachtung in großer Runde zusammenstellen, anstatt dass die Studierenden ihre Sachen einfach aufhängen. Entwürfe müssen ggf. vom Dozenten im Homeoffice ausgedruckt werden. Vorlesungen und Live-Demos hielt ich etwa doppelt so viele ab wie in einem normalen zweiten Semster, um diese kürzer zu halten und Inhalte aufzufangen, die ich sonst »en passant« im Kurs unterbringe. Alles Inhaltliche braucht genauere Vorbereitung und Platzierung.

Ich bin der Meinung, dass die Honorarverträge für Lehrbeauftragte einer grundsätzlichen Reform bedürfen. Bei diesen bemisst sich das Salär an ihren Präsenzstunden in der Hochschule, also am Stundenplan der Studierenden. Vor- und Nachbereitung, Betreuung zwischen den Terminen und selbst die Analyse und Bewertung der Semesterarbeiten sind nicht abgebildet. Die Präsenzpflicht der Studierenden war stets eine völlig falsche Berechnungsgrundlage und wird es — über Corona hinaus, bei Lehrformaten mit mehr digitalen Anteilen — in Zukunft erst recht sein.

Dritter Teil: Feedback der Studierenden ]

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Bildnachweise:
Slideshow 1) Kopenhagen, Diep Thao Nguyen & Lisa Grazia Viggiani, HTW Berlin — Slideshow 2) Kalifornien, Oliver Lenz, FH Bielefeld — Slideshow 3) Japan, Sabrina-Jasmin Kirschberger & Viviane Ambos, HTW Berlin — Slideshow 4) Moskau, Kristina Schmidt, FH Bielefeld — Slideshow 5) New York, Ella Meunier & Smilla Tettenborn, HTW Berlin — Slideshow 6) Shetland-Inseln, Jana Sehnert, FH Bielefeld — Slideshow 7) Schweiz, Maximilian Herrmann, HTW Berlin.

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